Zofinger Luft (ausgewählte Werke)
8 x Fotografien: Inkjetdruck auf Innovapapier, 118 x 80 cm, 60 x 40 cm, 87 x 60 cm, 45 x 30 cm, 15 x 10.8 cm
1 x Video: HD 16:9, 1920 x 1080, Farbe, 9:52, Ton
1 x Silberner Suppenlöffel
1 x Ausgestopfter Rabe
Für die "Auswahl 23" im Aargauer Kunsthaus habe ich einen Teil meiner mehrteiligen Arbeit ZOFINGER LUFT ausgestellt, welche im Frühling 2023 in der Gruppenausstellung “Mindmapping Art” im Kunsthaus Zofingen gezeigt wurde.
In dieser Arbeit recherchiere ich zu meiner Urgrossmutter Clara Bollag und deren Familie, im Zusammenhang mit der Ortsgeschichte Zofingens. Clara Bollag hatte seit ihrer Geburt 1884 in Zofingen gelebt, bevor sie 1904 zum Ursprungsort ihrer Familie, nach Endingen zog. Auf den Spuren meiner Urgrossmutter besuchte ich das Museum Zofingen, die Bibliothek und das Stadtarchiv Zofingens, recherchierte im Archiv des Turnvereins Zofingens, führte Gespräche mit Bewohner*innen und suchte nach Spuren meiner jüdischen Vorfahren.
Das Resultat dieser Recherche ist eine mehrteilige Installation, welche sich aus Fotografien, einem Video, persönlichen Objekten aus dem Nachlass meiner Familie, sowie Fundstücke aus dem Musuem Zofingens zusammensetzt.
Durchfluten
Fotogramme auf Barytpapier, hinter Glas, Grössen variabel:
30.5 x 40.6 cm; 24 x 30.5 cm, 17.8 x 24 cm, 12.7x 17.8 cm
In der Installation stehen vier abgenutzte Holztische, welche die Künstlerin vor Ort in der Synagoge gefunden hat. Sie stehen in einer Gruppe, wie in einem Archiv oder einer Bibliothek. Auf den Tischen liegen Abbilder von amtlichen Dokumenten, ausgeschnitten und unter Glasplatten platziert.
Für die Arbeit «Durchfluten» hat Françoise Caraco das Recherchematerial, welche sie in verschiedenen Archiven gefunden hat, auf Fotopapier gelegt und durchleuchtet. Auf den entstandenen Fotogrammen heben sich die spärlichen Überlieferungen zu ihrer Familiengeschichte ab wie Licht vom Dunkel.
Der Ausgangspunkt der Recherche zu ihrer Familiengeschichte, verbindet Françoise Caraco spezifisch mit dem Ort Hegenheim. Ihr Urgrossonkel, eingewanderter Jude aus Konstantinopel, war einmal mit einer Jüdin aus Hegenheim verheiratet. Die Spuren dieser Familiengeschichte, sowie des gemeinsamen Sohnes Robert Caraco führten unter anderem nach Basel, Zürich, Frankreich, sowie nach Buchenwald, Natzweiler, Dachau und wieder zurück. Ihre Fundstücke - zu Geburt, Aufenthalt, Heirat, Einbürgerung oder Streitigkeiten, Inventare, Listen - was sie über ein persönliches Schicksal verraten oder eben auch nicht zu sagen vermögen, beinhalten jedoch auch immer Leerstellen. Diese Leerstellen zeichnet Françoise Caraco mit eigenen Fragen nach und verwebt sie mit dem Archivmaterial zu einer Geschichte. Diese können Besuchende als Audiospur auf einem Stuhl sitzend und durch das grosse Fenster an der Stirnseite des Raumes blickend hören. Hörend empfinden wir den Weg der Künstlerin und ihrer Recherchen nach, begeben uns auf eine Zeitreise in unterschiedliche Welten und holen durch das Fenster blickend, das Draussen in Gedanken in den Raum hinein.
Seit einigen Jahren beschäftigt sich Françoise Caraco in ihren ortsspezifischen Installationen mit der eigenen Familiengeschichte. Dabei nimmt sie wiederholt die hinterlassenen Notizen ihres Grossvaters als Grundlage und sucht durch die Kunst, die Lücken zu füllen.
Text: Patricia Hujinen
Audiostück, Durchfluten, 15' 18'', 2023
Gesprochen von Alma Caraco
Zofinger Luft
Fotografien: Inkjetdruck auf Innovapapier, 118 x 80 cm, 60 x 40 cm, 87 x 60 cm, 45 x 30 cm
Video: HD 16:9, 1920 x 1080, Farbe, 9:52
Besucherinnen und Besucher werden von der vielteiligen Installation von Françoise Caraco empfangen, die sich über zwei Stockwerke verteilt. Caracos Installation mit dem Titel: ZOFINGER LUFT ist eine Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Familiengeschichte. Caraco recherchiert zum Leben ihrer Urgrossmutter Clara Bollag und deren Familie im Zusammenhang mit der Ortsgeschichte von Zofingen. Clara Bollag lebte seit ihrer Geburt 1884 mit ihrer Familie in Zofingen, bevor sie 1892 zum Ursprungsort ihrer Familie, nach Endingen zog. Auf den Spuren Clara Bollags besuchte Françoise Caraco die Bibliothek und das Stadtarchiv in Zofingen, recherchierte im Archiv des Turnvereins Zofingen, im Museum Zofingen und dessen historischen und naturhistorischen Abteilung und führte Gespräche mit Bewohner*innen. Sie suchte nach Spuren ihrer Vorfahren, die jüdischer Herkunft waren. Bei ihrer Recherche erfuhr die Künstlerin, dass Clara Bollags Vater Viehhändler gewesen war, damals eine der wenigen beruflichen Möglichkeiten für Juden. Seine Frau und er lebten mit der Familie an verschiedenen Adressen in der Oberstadt Zofingens. Bollags Viehstall befand sich an der Scheunengasse. Diese Informationen hat Françoise Caraco im Register der Einwohnerkontrolle Zofingen 1898, im Geburtsregister a II, 1883-1891, im Liegenschaftsverzeichnis der Gemeinde-Zofingen von 1886 oder im Steuerbuch der Gemeinde Zofingen 1892-1897 gefunden. Daraus lässt sich auf die Lebensumstände der Familie Bollag schliessen, doch ergibt sich kein Bild, wie ihre Urgrossmutter Clara in Zofingen lebte.
Was mochte die Familie von Clara Bollag 1892 zur Rückkehr nach Endingen bewogen haben? Wo und wie lebte Clara Bollag? Vieles bleibt unbeantwortet. Diese fehlenden Informationen zeichnet Françoise Caraco anhand von bildlichen Leerstellen in der Installation ZOFINGER LUFT nach. Sie visualisiert die Leerstellen einerseits mit Löschblättern welche sie in den Büchern des Stadtarchivs Zofingen gefunden hat, andererseits mit präparierten Vögeln, die in der Zeit von Clara Bollag in Zofingen gelebt haben und die sie fotografiert oder mit unbelichteten Fotonegativplatten, aus dem Nachlass eines Zofinger Fotografen, welche thematisch in Zusammenhang mit der Geschichte der Familie stehen. Finale der Installation bildet das Videowerk: ZOFINGER LUFT, 1878 – 1892, das in bewegtem Bild und gesprochenem Wort die künstlerische Recherche von Françoise Caraco zu Clara Bollag vereint.
Text: Eva Bigler
Tandem im Turm
Fotografien; Inkjet auf Barytpapier, aufgezogen auf Aluminium 60 x 85 cm oder 85 x 120 cm
Fotogramme; Barytpapier, aufgezogen auf Aluminium 45 x 30 cm oder 30 x 24 cm
Mit dem Anliegen, Kunst an den unterschiedlichsten Orten sicht- und erfahrbar zu machen, realisiert das Kunsthaus Aussersihl temporäre Ausstellungen und Projekte, bei deren Umsetzung die künst le risch-kuratorische Kollaboration sowie die Rolle der «Gastgeberschaft» zentrale Motive darstellen. Die Ausstellung «Tandem im Turm» fusst auf Hospi tality und wurde für die im Haus 2 neu angesiedelten Ambulatorien kon zipiert. Auf den Stockwerken C und D sowie F bis M haben die Mitglieder des Vereins Kunsthaus Aussersihl auf je einer Etage Gast künstler:innen zu einer dialogischen «Tandemfahrt» ein geladen. Das befruchtende Potenzial der direkten künstlerischen Zusammenarbeit hat jedes Tandem in kuratorischer Eigenregie genutzt. Entstanden sind
neun eigenständige Inter ventionen, die zu individuellen Kunst erlebnissen einladen. Die Werke sind käuflich. www.kunsthausaussersihl.ch Françoise Caraco & Karin Kurzmeyer
Für das Konzept «Tandem im Turm» haben Françoise Caraco und Karin Kurzmeyer einen vertieften Dialog zwischen ihren jeweiligen Arbeiten entstehen lassen. Caraco zeigt eine Auswahl analoger Fotografien, welche sie seit 2003 fortlaufend erweitert. Für das Stockwerk G wählt Caraco explizit Fotografien aus, die Ein- und Ausblicke festhalten, um den geschlossenen Korridoren entgegenzuwirken: So befindet sich der/die Betrach-tende auf einmal bei den Flamingos im Zoo, erlebt das Umkippen eines Baumes im Wald oder schaut fasziniert auf ein rotes Kabel, welches lose über dem Schlüssel eines Wandkastens hängt. Den Fotografien ist gemein-sam, dass Caraco mit forschendem Blick durch die Kameralinse zufällige Augenblicke festhält und diese für die Ewigkeit einfriert. Kurzmeyer lotet auf experimentelle Weise das Druckverfahren der Monotypie zwischen Komposition und Zufall aus. Inspiriert von Caracos Fotoserie sind mittels Papierfetzen, Schablonen und Ab-drucken, mit Materialien wie einem Farnblatt oder einer Schnur, neue Monotypien für die Ausstellung entstanden. So greift Kurzmeyer inhaltliche und formale Aspekte der Fotografien Caracos auf. Darüber hinaus haben Caraco und Kurzmeyer explizit aufeinander reagiert, in dem sie eine Art Fundkiste oder auch Wundertüte an Mate rialien zusammengetragen haben, mit der beide, in ihrem jeweiligen künstlerischen Medium, die Mate rialien, deren Beschaffenheit, Materialität, Oberflächen und Eigenschaften nutzen. Dabei sind bei Caraco neue Fotogramme und bei Kurzmeyer weitere Monotypien entstanden. Auch hier spielt bei beiden der Zufall – das Festhalten eines Moments – eine wesentliche Rolle. Die im Stockwerk G ausgestellten Werke ermöglichen es dem/der Betrachtenden, fliessende Übergänge und Verbindungen zwischen den Werken, Techniken und Medien zu entdecken: Da erscheint das rote Kabel
in der Fotografie von Caraco und taucht als Abdruck auf der Monotypie von Kurzmeyer wieder auf. Zwischen den Lichtbildern und den Druckbildern eröffnen sich neue inhaltliche sowie ästhetische Bezüge. Die Werke treten miteinander in einen Dialog.
Stilles Buch aus der Lücke
Installativer Katalog für nicht gelesene Bücher
Fotografien; Laserkopien 21cm x 29cm
Ausgangspunkt für die gemeinsame Beschäftigung mit Büchern war für Françoise Caraco und Agatha Zobrist ein verlassener Bücherstapel, gefunden an einem Strassenrand in strömendem Regen. Die Künstlerinnen entwickelten daraus 2021 das Projekt «Gutes Buch im Regen» für den Kunstraum Nano in Zürich, wo sie Bücher in den Kunstkontext verschoben und deren Wert neu verhandelten. Der Ausstellungsraum wurde zu einem installativen Katalog für gefundene Bücher.
Die Ausstellung im Eck ist eine situations- und ortsspezifische Adaption und Weiterführung des Projektes von 2021. Im Zentrum steht hier das nicht gelesene Buch aus dem privaten Büchergestell und damit verbunden die persönliche Geschichte zum Buch, die Hinweise auf den Inhalt liefern kann. Die Künstlerinnen lassen sich per Aufruf nicht zu Ende gelesene Bücher schenken und folgende Fragen dazu beantworten: Wie ist das Buch zu dir gelangt und wieso hast du es nicht zu Ende gelesen? Ebenso bitten sie um ein Foto der entstandenen Lücke im Gestell.
Die Bücher und die gesammelten Informationen und Fotos werden von den Künstlerinnen neu gestaltet, katalogisiert und in einer eigens fürs Eck gezimmerten Raumbox gezeigt. Durch die inszenierte Geschichte und das Bild der Nachbarschaft im ursprünglichen Büchergestell lässt sich möglicherweise auf Art und Inhalt des Buches schliessen. Die Imaginationskraft ist geweckt. Wer ein Buch erstehen möchte, verlässt sich auf das Bild der Lücke und den Text, der zum Nichtlesen des Buches führte.
Als Auftakt findet am 4. Februar 2023 eine performative Lesung aus der Box statt. An der Vernissage vom 11. März 2023 wird die Box zum räumlich inszenierten Katalog, die Bücher können von den Besucher*innen erworben werden. Am 24. März um 19 Uhr findet ein Talk mit Sébastien Fanzun, Literaurwissenschaftler und Cédric Weidmann, Leiter Aargauer Literaturhaus statt.
Hidden Istanbul
Fotografien: Inkjetprint auf gmg ProofMedia Newspaper 76g, Grösse: 77.3 x 58 cm oder 43.5 x 58 cm
Buch: Hidden Istanbul, APE#194, Art Paper Editions, Belgien, 2021
Wie kann etwas dargestellt, gezeigt werden, das versteckt ist? Françoise Caraco hat mit der vorliegenden Pu-blikation HIDDEN ISTANBUL ebendiesen Versuch unter-nommen. Auf der Suche nach ihren Vorfahren reiste Françoise Caraco mehrfach nach Istanbul und hat mit Menschen gesprochen, die eine*n Caraco – oder Karako – kennen oder gekannt haben oder sich zumindest an diesen Namen erinnerten. Ihr bot sich ein einzigartiger Einblick in die jüdische Kultur der Sephardim. Diese bewohnen die türkische Metropole Seit Jahrhunderten, was aber den Augen der meisten verborgen bleibt.
In HIDDEN ISTANBUL verwebt Françoise Caraco Fami-lienerinnerungen feinfühlig mit ihren eigenen, zeitge-nössischen Fotografien der Reise und Recherche. Dazwi-schen lässt sie unterschiedliche Stimmen der jüdischen Gemeinde Istanbuls zu Wort kommen. Das Ergebnis ist ein reichhaltiges, nuanciertes Porträt der verschwindenden Vergangenheit und der immer noch lebendigen Gegenwart der Stadt aus der Perspektive eines
Gizli Istanbul / Hidden Istanbul
Inkjetprint auf gmg ProofMedia Newspaper76g, 77.3 x 58 cm oder 43.5 x 58 cm
Buch: Hidden Istanbul, APE#194, Art Paper Editions, Belgien, 2021
Das Buch HIDDEN ISTANBUL dient als Grundlage für die Ausstellung im Schneidertempel Arts Center. Fotografien und Abbildungen von Archivmaterial werden im Inkjet-Verfahren auf dünnes Zeitungspapier gedruckt und gleichermaßen als eine Art dokumentarische Spurensuche des jüdischen Lebens in Istanbul an die Wände gehängt. Die Aussagen der Interviewpartner sind im Buch zu finden.
Wie kann etwas dargestellt, gezeigt werden, das versteckt ist? Françoise Caraco hat mit der vorliegenden Pu-blikation HIDDEN ISTANBUL ebendiesen Versuch unter-nommen. Auf der Suche nach ihren Vorfahren reiste Françoise Caraco mehrfach nach Istanbul und hat mit Menschen gesprochen, die eine*n Caraco – oder Karako – kennen oder gekannt haben oder sich zumindest an diesen Namen erinnerten. Ihr bot sich ein einzigartiger Einblick in die jüdische Kultur der Sephardim. Diese bewohnen die türkische Metropole Seit Jahrhunderten, was aber den Augen der meisten verborgen bleibt. In HIDDEN ISTANBUL verwebt Françoise Caraco Fami-lienerinnerungen feinfühlig mit ihren eigenen, zeitge-nössischen Fotografien der Reise und Recherche. Dazwi-schen lässt sie unterschiedliche Stimmen der jüdischen Gemeinde Istanbuls zu Wort kommen. Das Ergebnis ist ein reichhaltiges, nuanciertes Porträt der verschwindenden Vergangenheit und der immer noch lebendigen Gegenwart der Stadt aus der Perspektive eines weitgehend unbe-kannten Teils ihrer Bevölkerung.
Hidden Istanbul
Hardcover 17 × 24 cm, 404 Seiten, 263 Farbfotografien, Sprache: Englisch, ISBN 9789493146716
Design & Editing: Lien Van Leemput & Françoise Caraco
Design: Lien Van Leemput & Françoise Caraco for 6'56" Art Paper Editions, Belgien, 2021.
Jedem Buch ist ein zweiseitiges Poster beigefügt.
Wie kann etwas dargestellt, gezeigt werden, das versteckt ist? Françoise Caraco hat mit der vorliegenden Publikation Hidden Istanbul ebendiesen Versuch unternommen. Auf der Suche nach ihren Vorfahren reiste Françoise Caraco mehrfach nach Istanbul und hat mit Menschen gesprochen, die eine*n Caraco – oder Karako – kennen oder gekannt haben oder sich zumindest an diesen Namen erinnerten. Ihr bot sich ein einzigartiger Einblick in die jüdische Kultur der Sephardim. Diese bewohnen die türkische Metropole Seit Jahrhunderten, was aber den Augen der meisten verborgen bleibt.
In Hidden Istanbul verwebt Françoise Caraco Familienerinnerungen feinfühlig mit ihren eigenen, zeitge-nössischen Fotografien der Reise und Recherche. Dazwischen lässt sie unterschiedliche Stimmen der jüdischen Gemeinde Istanbuls zu Wort kommen. Das Ergebnis ist ein reichhaltiges, nuanciertes Porträt der verschwindenden Vergangenheit und der immer noch lebendigen Gegenwart der Stadt aus der Perspektive eines weitgehend unbekannten Teils ihrer Bevölkerung.
Gutes Buch im Regen
Installativer Katalog für gefundene Bücher
Diaschau
Ein einsamer Bücherstapel steht ungeschützt an einem Strassenrand in Wipkingen, es regnet in Strömen. Der Anblick dieser durchnässten Bücher war für Françoise Caraco und Agatha Zobrist Ausgangspunkt und Inspiration der hier gezeigten Arbeit. Alsbald nahmen sich die beiden Künstlerinnen weiterer Bücher an, die als temporäres Antiquariat mit dem Vermerk «gratis» irgendwo in der Stadt auf Abnehmerinnen warteten. Dies mag für die einen eine bequeme Art sein, sich von überflüssigem Ballast zu befreien, anderen fällt es schwer, Bücher wegzuwerfen. Sei es aus nostalgischen Gründen, aus Ehrfurcht vor dem Werk, vor den Schreibenden oder einfach aus Liebe zum Buch, das sie für eine gewisse Zeit begleitet hat.
In der Ausstellung «Gutes Buch im Regen» arbeiten Françoise Caraco und Agatha Zobrist mit Textauszügen, die sie aus den Büchern extrahieren und auf A5-Blättern an der Wand befestigen. Nur der erste und der letzte Satz des Werks sind lesbar. «Seit einer Woche hält sie durch. ... Das mit uns ist noch nicht vorbei.» Dazwischen tut sich eine Welt auf, eine Geschichte, die vielleicht ein Jahrhundert oder auch nur einen Tag umfasst. Um welche Geschichte es sich handelt wird nicht offengelegt und bleibt unserer Imagination vorbehalten.
179 Bücher stehen aufgereiht in einem Büchergestell, die Sachbücher dicht zusammengerückt, die Romane lockerer geordnet. Alle sind sie in ein weisses Papier gehüllt, zeigen den Betrachtenden ihren weissen Buchrücken und tragen auf dem Buchdeckel den Stempel «Gutes Buch im Regen».
An zwei Wänden sind subtil und fein Buchseiten angeklebt – für jedes Buch ein Blatt. Sie führen in einer lockeren Fluchtlinie zu den Büchern an der Stirnwand. Die weisse Szenerie verleiht dem Raum etwas Schwereloses. Es entsteht eine Leichtigkeit, eine Leere, die gedanklich neu gefüllt werden kann. Jedes einzelne Buch kann für einen Einheitspreis von Franken 8 erworben werden, damit es in neuer Form an einem anderen Ort wieder seine Geschichte erzählen kann. Durch die verkauften Bücher erhält das Büchergestell Lücken und verändert seine skulpturale Form fortlaufend.
Die Installation «Gutes Buch im Regen» ist das Produkt eines Dialogs zwischen zwei verschiedenen Künstlerinnen, deren Handschrift zu einer einzigen verschmilzt. Das Erinnern und Vergessen ist eines der grossen Themen, mit dem sich Françoise Caraco mit Text, Audio-, Video- und Fotoinstallationen beschäftigt. Dies verbindet sich in dieser Installation im Kunstraum nano hervorragend mit Agatha Zobrists Sinn für Materialien, Inszenierungen und Interventionen vor Ort. Im gemeinsam entwickelten Projekt «Gutes Buch im Regen» geben sie nicht nur wertlos gewordenen Büchern ihre einstige Würde zurück, sie öffnen den Raum und wecken damit die Neugier und Imaginationskraft der Betrachtenden.
From Me To There (work in progress)
Sammlung von 17 Briefe, teilweise handgeschrieben
Ich habe Freunde und Bekannte per Brief angeschrieben und sie gefragt, ob Sie mir über einen Ort auf der Welt schreiben könnten, welcher für Sie von Bedeutung ist, den sie jedoch wegen der Covid-19 Situation im Jahr 2021 nicht besuchen konnten.
Aufruf zum Briefe schreiben über einen persönlichen Ort der Sehnsucht, anlässlich des internationalen Museumstags von 15. / 16. Mai 2021
From Me To There
Mit gewissen Orten auf dieser Welt identifizieren wir uns: Es kann der Ort sein, wo wir aufgewachsen sind, wo wir immer hinreisen, wo wir wichtige Abschnitte des Lebens verbracht haben. Oder Orte, mit welchen wir uns irgendwie verbunden fühlen oder zugehörig fühlen. Diese Orte können eigentlich überall auf der Welt sein.
Aufgrund der aktuellen Situation jedoch ist das Reisen verhindert oder beträchtlich erschwert. Wir können nicht mehr einfach so ins Ausland fahren, unser Heimatland besuchen, oder die Orte aufsuchen, die für uns von Bedeutung sind. Jene Orte rücken physisch in die Ferne. Dennoch verbinden wir uns in Geschichten, Erinnerungen und Sehnsüchten mit ihnen.
Aufruf!
Erzähle jemandem, auf maximal einer A4-Seite, von jenem Ort, den du momentan nicht besuchen kannst, den du aber besonders vermisst, oder mit dem du dich verbunden fühlst. Adressiere deine Erzählung an eine Person, die dir nahesteht, in deutscher oder englischer Sprache, wenn möglich von Hand geschrieben. Orientiere dich für die Beschreibung deines gewählten Ortes an den untenstehenden Fragen. WICHTIG: Erwähne dabei nicht den Namen des Ortes.
Fragen:
Wie sieht dieser Ort aus?
Was macht diesen Ort so besonders für dich?
Mit was verbindest du diesen Ort?
Wie riecht oder klingt dieser Ort?
Wann warst du das letzte Mal dort?
Deine Erzählung soll Teil der künstlerischen Arbeit from me to there werden, mit der Idee, deinen Beitrag für ein öffentliches Publikum einsehbar und lesbar zu machen. Die Beschreibung deines gewählten Ortes ermöglicht es dir und den Lesenden, zumindest gedanklich, für einen Moment an diesem Sehnsuchtsort verweilen zu können. Diese momentane Verbindung verstehe ich als Akt gegen das Vergessen. Denn je länger es uns nicht möglich ist, jene Orte aufzusuchen, desto mehr werden diese verklärt und rücken weiter in die Ferne.
Die Arbeit from me to there wird am Wochenende des Internationalen Museumstags, 15./ 16. Mai, auf Initiative des Kunsthauses Aussersihl, in Zürich ausgestellt. Ich plane, ausgewählte Briefe während der Ausstellung vorzulesen.
Schicke mir deinen Brief bis am Freitag, 7. Mai per Post, an folgende Adresse:
Françoise Caraco
Schöneggstrasse 5
8004 Zürich
Ich freue mich bereits jetzt auf deinen Beitrag. Vielen Dank!
Françoise Caraco
Trolley Suitcase
Audio piece: 32‘ 33‘‘, Spoken by Alma Caraco
Trolley Suitcase, about walking and writing, from the art-project, you, inter alia, St. Petersburg – Geneva, 2021
On the walk through Geneva, I have followed a route to my youthful memories of this city, along lines written down by my grandfather and some contemporary documents about my great-grandfather and his family in connection with their immigration to this city.
The tour starts at the train station and I walk along the lakeshore, through the area of the inner city north of the river, then the part of the city south of the river, and before returning to the train station, I walk up a hill northwest of the train station, and walk from there up to the bottom of the train station.
All the while, walking my chosen route through this city, I drag a trolley suitcase behind me. It stands for travelling itself, but also for carrying memories. The necessary utensils are gathered in the suitcase, for the journey and my artistic exploration.
I am interested in spaces of thought that open up to me while walking or at the chosen places in the city. With a photographic eye, I observe moments of immersion in my own and narrated memories and transfer my thoughts into written language. During my walk through Geneva, I also recorded different city sounds with my recorder.
For the audio piece, I weave these spaces of thought into a narrative voice that is underlaid with recorded city sounds.
Trolley Suitcase is my contribution to the project on «You, inter alia», a web-based intervention by Alina Belishkina and Lera Mostovoya. «You, inter alia» explores space of the city and that of the text through practices of walking and writing, in St Petersburg and Geneva. http://youinteralia.com